Die nackte Frau ist der erste Roman, den ich von der Italienerin Elena Stancanelli gelesen habe und ich schätze, dass er auch der letzte sein wird. Was vielversprechend begann, hat mich spätestens ab der Mitte des Romans eher enttäuscht.
Inhalt kurz zusammengefasst
Annas Freund Davide betrügt sie nach Strich und Faden, und zwar nicht mit einer Frau, sondern mit nahezu unzähligen. Eindeutig findet sie das heraus, als Davide nach einem Telefonat mit Anna vergisst, aufzulegen – ungünstig, ganz ungünstig … Zumal Anna sich als moralisch viel vollkommener als Davide sieht, schließlich betrügt sie ihn nur gelegentlich (statt regelmäßig wie ihr Freund) und schafft es zudem, ihre Techtelmechtel geheim zu halten, um die Beziehung nicht noch mehr zu belasten, als sie es sowieso schon ist.
Natürlich kommt es zum Eklat und zur einer langsamen, nie ganz endgültigen, aber irgendwann dann doch endgültigen Trennung. Doch für Anna ist noch lange nicht Schluss, sie ist jetzt erst richtig in ihrem Element. Zunächst überwacht sie Davide per Facebook; seine Zugangsdaten kennt sie aus der Zeit ihrer Beziehung. Als Davide nach einer Sicherheitswarnung von Facebook sein Kennwort ändert, dabei aber ein sehr einfaches wählt, fühlt Anna sich erst recht provoziert – ein so leicht zu erratendes Passwort zu wählen, kann doch nur eine geheime Aufforderung an sie sein, Davide weiter hinterher zu spionieren!
Noch mehr spitzt sich die Sache zu, als Anna beginnt, regelmäßig die App „Wo ist mein iPhone?” zu verwenden, um ihren Ex-Freund nicht mehr nur bei Facebook, sondern auch im echten Leben zu beschatten. Wobei regelmäßig bedeutet, dass sie vor lauter Eifer nicht einmal mehr schläft, aus Angst, zu verpassen, dass sich der blaue Punkt auf der Karte vielleicht doch noch an einen anderen Ort bewegt.
Wie war’s?
Dieser Roman, der aus nur einem einzigen Kapitel besteht und den Bekennerbrief einer liebeskranken und psychisch gestörten Stalkerin an ihre beste Freundin darstellt, lässt mich etwas ratlos zurück. Den Beginn fand ich sehr vielversprechend und gut geschrieben. Ich habe mich auf ein feinsinniges Psychogramm einer unter Liebeskummer leidenden Frau gefreut und war gespannt darauf, wie Anna ihren Weg aus der Lebenskrise finden wird.
Leider gelingt Anna das den gesamten Roman über nicht; vielmehr wird die Geschichte einfach nur noch vulgär. Tabulos zu schreiben ist das eine, sinnlos vulgär das andere – und wie letzteres habe ich den Roman empfunden, je weiter er fortschritt. Ich habe für mich persönlich nichts aus dieser Erzählung mitgenommen, außer dass Menschen die Kontrolle verlieren können, wenn sie an Liebeskummer leiden. Das war mir allerdings auch schon vorher bekannt.
Ich hätte mir viel mehr Erklärungen, Begründungen und vor allem einen Ausweg gewünscht, der mir als Leser aufgezeigt wird. Versteht mich nicht falsch, ich brauche nicht immer ein Happy End, aber irgendein Zeichen, irgendetwas, das ich für mich persönlich mitnehme, finde ich (abgesehen von Krimis) doch recht wichtig.
Nein, Elena Stancanelli und ich konnten zumindest diesmal leider nicht zueinander finden.
Ein kurzes Zitat aus dem Buch
Wenn einem etwas Schlimmes zustößt, ein Unfall, eine schwere Krankheit oder etwas Dummes, aber unglaublich Schmerzhaftes wie in meinem Fall, wird man zu einem beschädigten Menschen. Für immer. Ich bin wie ein Gerät oder ein Werkzeug, das heruntergefallen ist. Man repariert es, und es funktioniert wieder, behält aber die Erschütterung dieses Sturzes in sich zurück. Wir wissen nicht wann, wir wissen nicht einmal ob, doch es kann wieder kaputtgehen, und das wäre dann eine Folge dieses alten Unglücks.
(Elena Stancanelli, Die nackte Frau, Seite 11)
Infos zum Buch
Die nackte Frau / Elena Stancanelli / Übersetzerin: Karin Diemerling / Berlin Verlag / 2017 / 224 Minuten / ISBN: 978-3-8270-1347-7 / Preis: 18,00 Euro / Jetzt online kaufen* /
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1 Comment
Neri
Das klingt wahnsinnig interessant! Auch wenn Du nicht ganz überzeigt warst. Danke dennoch für die schöne Rezension!
Neri, Leselaunen