Vater, Mutter, Kim von Eivind Hofstad Evjemo geht durch Mark und Bein. Der junge norwegische Autor, der im Jahr 2010 zu den zehn besten norwegischen Autoren unter 35 gekürt wurde, setzt sich in seinem Roman intensiv mit den Themen Trauer und Verlust auseinander.
Inhalt kurz zusammengefasst
Im Juli 2011 erschüttern die Anschläge in Oslo und auf der Insel Utøya Menschen weltweit. Sella fühlt sich in besonderem Maß betroffen, da die Tochter ihrer Nachbarn zu den Todesopfern gehört. Somit beginnt (und endet) Vater, Mutter, Kim mit der Frage, wie die Protagonistin ihrer Anteilnahme Ausdruck verleihen kann. „Um der Familie etwas Gutes zu tun, könnte sie für sie backen. Das wäre eine Art, die Familie wieder willkommen zu heißen. Sella würde sich selbst zur Botschafterin ernennen für alle, die zum Ausdruck bringen wollen: Wir nehmen Anteil an eurem Kummer.”
Um diese Frage herum wird Schicht für Schicht Sellas Leben entblättert. Die Leser erfahren von ihrer fordernde Arbeit im Krankenhaus, bei der sie fortwährend mit dem schmalen Grat zwischen Leben und Tod konfrontiert wird. Täglich trägt sie die Verantwortung für Menschenleben – eine besonders belastende Situation, da ihre eigene Mutter bei Sellas Geburt ums Leben kam.
Auch die komplexe Liebesgeschichte zwischen Sella und ihrem Mann Arild erfährt große Beachtung. Eigentlich glücklich sahen die beiden sich mit einem unerfüllten Kinderwunsch konfrontiert, der schließlich in der Adoption des kleinen Kim resultierte.
Im Laufe der Erzählung wird klar, dass Sellas Betroffenheit nicht nur in der räumlichen Nähe zu den Nachbarn begründet liegt, sondern darin, dass sie selbst ihr Kind unter besonderen Umständen gehen lassen musste.
Wie war Vater, Mutter, Kim?
Müsste ich Vater, Mutter, Kim in einem Wort beschreiben, es wäre das Wort unbehaglich. Ein wahrlich unbehaglicher Roman, bei dessen Lesen es mir mehr als einmal eiskalt den Rücken heruntergelaufen ist.
Erschreckend beklemmend erzählt Eivind Hofstad Evjemo von Sellas innerem Konflikt, der durch die Terroranschläge von Utøya und Oslo heraufbeschworen wird: Sie weiß genau, wie die Eltern der Nachbarsfamilie sich fühlen, ist aber dennoch zutiefst verunsichert, wie sie ihrem Mitgefühl Ausdruck verleihen soll. In meinen Augen ist dies ein Spiegelbild dessen, wie unbeholfen sie ihrer eigenen massiven Trauer noch immer gegenübersteht.
Wer auf einen sensationsheischenden Roman hofft, der sich am Leid der Hinterbliebenen der Terroranschläge von Norwegen bedient, wird bei Vater, Mutter, Kim definitiv nicht fündig. Vielmehr zeigt der Autor exemplarisch auf, welche Auswirkungen die Anschläge auch auf unzählige Menschen hatten, die nicht unmittelbar von ihnen betroffen waren.
Vorsichtig, aber dennoch höchst eindringlich geschrieben – und definitiv lesenswert.
Ein kurzes Zitat aus dem Buch
„Der Gartentisch steht im Schatten. Der Grill steht im Schatten. Es regnet kleine Hagelkörner, sie treffen auf Dachziegel und rasseln wie Glassplitter in einem Staubsaugerrohr durch die Regenrinnen nach unten. Die Leute von der Insel sind endlich wieder zu Hause, aber die Handtücher rutschen weiter von Badezimmerhaken, wie aus Protest. Von oben gesehen, könnte man denken, es sei gar nichts passiert.”
(Eivind Hofstad Evjemo, Vater, Mutter, Kim, Luftschacht, Seite 18 f.)
Infos zum Buch
Vater, Mutter, Kim / Eivind Hofstad Evjemo / Übersetzer: Karl Clemens Kübler, Clara Sondermann / Luftschacht / 2019 / 274 Seiten / ISBN: 978-3-903081-37-6 / Preis: 24,00 Euro / Jetzt online kaufen* /
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