Schöne Welt, wo bist du ist tatsächlich der erste Roman von Sally Rooney, den ich gelesen habe – auch die adaptierte Serie auf Basis von Normale Menschen habe ich nicht gesehen. Vergleiche zu ihren ersten beiden Romanen kann ich folglich nicht ziehen, aber vielleicht is ja auch eine unvoreingenommene Betrachtung ihres neuen Romans interessant?
Inhalt kurz zusammengefasst
Sie sind reflektiert, gutaussehend und alle mehr oder weniger kaputt: das Vierergespann Alice, Eileen, Simon und Felix. Eileen und Simon kennen sich bereits seit Kindheitstagen, und fast genau so lange besteht Eileens Bewunderung für ihren fünf Jahre älteren Freund. Wobei Bewunderung eine Untertreibung ist, sie erklärt ihn gegen Ende des Romans für niemand Geringeres als ihren Lebensretter.
Alice und Eileen sind beste Freundinnen, die ihre Beziehung nach Alices‘ Wegzug von Dublin an die irische Küste mehr virtuell denn in der Realität pflegen. An der rauen See Irlands versucht Alice, sich von ihrem mentalen Zusammenbruch zu erholen, den sie vor einiger Zeit erlitt. Zur Ablenkung tindert sie und lernt den Lagerarbeiter Felix kennen, der sie zunehmend fasziniert.
Trotz der engen Verbundenheit leben Alice und Eileen sehr gegensätzliche Leben: Eileen arbeitet in einem sehr schlecht bezahlten Redaktionsjob in Dublin und muss sich zwangsläufig tagein tagaus mit ihrem nicht vorhandenen Geld auseinandersetzen. Alice hingegen ist gefeierte Jungautorin, Millionärin und müsste eigentlich gar nicht mehr arbeiten. Neben ihrer gemeinsamen Vergangenheit verbindet sie auch der Trennungsschmerz, den sie beide nach in die Brüche gegangenen Beziehungen durchleben. Die Lösung: frischer Wind in Form von Felix und Simon.
Im Folgenden dreht sich alles um die Liebesbeziehungen der beiden Protagonistinnen, um ihre Selbstbezogenheit, ihre Lebensentwürfe und die generelle Dynamik des neurotischen Quartetts.
Wie war Schöne Welt, wo bist du?
Etwa die ersten 100 Seiten musste ich mich etwas hinarbeiten in diesen Roman und war mir nicht sicher, was ich davon halten sollte. Zu den Figuren konnte ich keine Beziehung aufbauen, sie schienen mir furchtbar egozentrisch, zu kompliziert und zu distanziert, um mich auf sie einlassen zu können. Bei Alices‘ steter Kritik am Literaturbetrieb und dem damit verbundenen „Promi-Kult” (allgemein, aber auch in Bezug auf Autor*innen) stellte ich mir natürlich unweigerlich die Frage, inwiefern Rooney – selbst literarisches Wunderkind – hier über ihre eigene privilegierte Situation herumjammert.
Doch je mehr sich die Beziehungen der beiden Frauen zu Simon und Felix festigen, umso mehr konnte auch ich den Figuren abgewinnen. Worauf man sich einstellen muss beim Lesen: Im Hier und Jetzt passiert in diesem Roman nicht viel. Die beiden Frauen treffen potentielle neue Partner, hadern mit ihrem Berufsleben, gehen abends etwas trinken oder auf eine WG-Party. Die Innenwelt von Alice und Eileen lebt nur durch ihre langen Mails, die sie sich regelmäßig zusenden und in denen sie über aktuelle Themen wie den Klimawandel, die weltpolitische Lage, die Rolle von Ästhetik und Literatur und vieles mehr philosophieren.
Insofern liefert Schöne Welt, wo bist du eine angenehme Mischung aus verlorenen Anfang- bis Mittdreißigern, die ihre Rolle im Leben noch nicht gefunden haben und ihren Ansichten auf die Welt, in der wir leben. Rooney schafft es, wahnsinnig natürlich zu schreiben, so kam es mir vor. Dieser Roman besteht aus so vielen echten Dialogen und Beobachtungen, wie ich es bisher selten gelesen habe. Alles in allem für mich ein gelungener Roman, der mich noch einmal mehr daran erinnert hat, auch Rooneys andere Romane zu lesen und gespannt auf den nächsten zu warten.
Ein kurzes Zitat aus dem Buch
„Vermutlich fühlt sich erinnertes Leid nie so furchtbar wie aktuelles Leid an, selbst wenn es in Wirklichkeit viel schlimmer war – wir können uns nicht daran erinnern, wie schlimm es war, weil Erinnern immer schwächer ist als Erleben. Vielleicht denken deshalb Menschen mittleren Alters immer, dass ihre Gedanken und Empfindungen wichtiger sind als die junger Menschen, weil sie sich nur entfernt an die Gefühle ihrer Jugend erinnern, während sie zulassen, dass ihr Blick auf das Leben von ihren gegenwärtigen Erfahrungen bestimmt wird.”
(Sally Rooney, Schöne Welt, wo bist du, Ullstein, Seite 47)
Infos zum Buch
Schöne Welt, wo bist du / Sally Rooney / Übersetzerin: Zoë Beck / Ullstein / 2021 / 352 Seiten / ISBN: 9783546100502 / Preis: 20,00 Euro / Jetzt online kaufen* /
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1 Comment
Zeilentänzerin
Hallo Inga, „Normale Menschen“ hat mich so gar nicht überzeugen können, deshalb schwanke ich noch, was „Schöne Welt, wo bist du?“ anbelangt. Ich habe da so viel Unterschiedliches gelesen. Aber deine Rezension hat mich nochmal zum Nachdenken gebracht.
Zeilentänzerin