Vorab: Man muss kein Sarah Kuttner Sympathisant sein, um an ihren Romanen Gefallen zu finden. Ich habe nie eine ihrer Sendungen gesehen, halte Mängelexemplar und Wachstumsschmerz aber dennoch für größtenteils gelungen (nicht, dass das eine das andere ausschließen würde, ich sage es nur vorsichtshalber dazu). Aufgrund letzterem war es für mich eine logische Konsequenz, auch 180 Grad eine Chance zu geben. Als Hörbuch übrigens.
Inhalt kurz zusammengefasst
Jule lebt in Berlin und in einer Beziehung mit Tim. Um Geld zu verdienen, tritt sie regelmäßig und ohne Freude als Sängerin in einer Bar auf. Nach den Auftritten betrügt sie ihren Freund mit dem Inhaber derselbigen.
Statt wirklich zu leben, scheint sie ihr Leben voller Misstrauen, Hass und Frust einfach nur noch auszuhalten. Als aufgrund ihrer aufgeflogenen Untreue ihre Beziehung in die Brüche zu gehen droht, flieht sie nach London zu ihrem Bruder Jakob. Dieser wiederum ist nicht einfach nur ihr Bruder, sondern dank ihrer nicht gerade unbeschwerten Kindheit mit einer suizidalen, alleinerziehenden Mutter auch ihr engster Vertrauter.
In London freundet sie sich nicht nur mit dem Hund von Jakobs Mitbewohnerin an und beginnt in einem Second Hand Shop zu arbeiten, sondern trifft auch auf ihren todkranken Vater.
Wie war’s?
Das ist so eine Sache mit Frau Kuttner und mir. Eigentlich wollte ich ihre beiden oben genannten Romane gar nicht lesen, dann tat ich es aus Neugier und aufgrund ihrer Themenwahl doch. Beide gefielen mir, irgendwie aber auch nicht – ich erinnere mich noch genervt an die Neologismen („Ich abendbrotete“ usw.), aber auch daran, dass ich bis zum Ende mit großem Interesse dem Handlungsverlauf gefolgt bin.
Wenn ich überlege, warum ich auch diesen Roman mochte, dann sind es wohl vor allem die Themen, die Kuttner behandelt und ein Gefühl der Erleichterung, eigene Gedankengänge und Fragestellungen niedergeschrieben wieder zu finden. Dem folgt dann das Interesse, wie die Protagonistinnen sich entwickeln und für sich selbst Lösungen auf ihre Fragestellungen finden.
In meinen Augen hat Sarah Kuttner mit „180 Grad Meer“ wieder einmal bewiesen, dass es sich lohnt, ihre Romane zu lesen und hinter die Fassade der zunächst kratzbürstigen, vielleicht unsympathischen, vor allem aber verkopften Hauptfiguren zu blicken.
Neben all den Passagen, die Jules inneren Kampf, aber auch ihre Entwicklung dokumentieren und dem Roman seine ganz eigene Spannung verleihen, kommen auch lustige bis absurde Passagen nicht zu kurz („Aus den Augenwinkeln sehe ich eine kleine, vermutlich schlafwandelnde Kakerlake, die nachher sicher mächtig Ärger mit ihrer Familie bekommt, denn die erste Regel im Kakerlaken-Club ist: Nie tagsüber blicken lassen.“). Für mich alles in allem gelungen und empfehlenswert.
Eine kurze Passage aus dem Buch
„Nur in seiner Weite und Unnahbarkeit berührt mich das Meer. Diese wunderbare, düstere Aussichtslosigkeit, die ein vor einem hingegossener Ozean vermittelt, fasziniert und rührt mich. Das empfand ich schon als kleines Kind so. Meer ist nichts wert, wenn es sich nicht zu 180 Grad vor mir erstreckt.“
(Sarah Kuttner, 180 Grad Meer)
Infos zum Hörbuch
180 Grad Meer / Sarah Kuttner / Argon Verlag / 2016 / 5 Stunden, 58 Minuten / ISBN: 978-3839814550 / Preis: 19,95 Euro /
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