Jeder kennt sie, die Sache mit dem Marmeladenbrot – wenn es herunterfällt, dann auf die bestrichene Seite, sodass man es nicht mehr essen kann und die Marmelade auf dem Boden / der Hose / dem Oberteil hängt. Übersetzt: Was schiefgehen kann, das geht auch wirklich schief. Ganz so pessimistisch habe ich „Die Theorie vom Marmeladenbrot“ aber eigentlich gar nicht empfunden.
Inhalt kurz zusammengefasst
Der Roman spielt im Jahr 2006 in Paris, teilweise in La Rochelle. Der junge Vater und Onlinejournalist Christophe ist auf der Suche nach Investoren für sein Projekt und neuen Themen für sein Onlinemagazin. Er stößt auf die damals neue Plattform YouPorn, macht kurze Zeit später eine „Darstellerin“ aus einem der Clips ausfindig und kontaktiert sie online, um sie zu interviewen. Es handelt sich um die Bloggerin Marianne, die in Form des kompromittierenden Videos das Opfer einer Rache-Aktion ihres Ex-Freunds geworden ist. Gemeinsam mit dem jungen Hacker Paul (dem auch Anonymous nicht ganz fremd ist) versuchen die drei, Marianne aus der Misere zu befreien und gleichzeitig dafür zu kämpfen, das Internet so zu erhalten, wie es Anfang und Mitte der 2000er noch war: Ein anonymer Raum mit scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten.
Der Kontakt der drei hält bis in das Jahr 2015. Sie alle sind erwachsen(er) geworden und auch das Internet hat einen bedeutenden Wandel vollzogen. Anonym ist schon lange niemand mehr online und die Vorstellung des Internet als rechtsfreien Raums ist nicht mehr als ein Relikt vergangener Zeiten. Das Leben der drei Protagonisten scheint dem Scheitern geweiht zu sein: Christophe wird von seiner Frau betrogen, Marianne lebt trotz ihrer Tochter sozial isoliert vor sich hin und droht mit ihrem Ausstieg aus Pauls lukrativem Verdienstmodell. Der wiederum kann sich aufgrund seiner Angststörung nicht wehren und hat ebenfalls Beziehungsprobleme. Spätestens jetzt müssen die drei den Schritt in das „echte“ Leben wagen.
Wie war’s?
Ich fand es … interessant. Das trifft es. Es ist kein Roman, der durch besonderen Witz oder eine wunderbare Sprache besticht. Oder über besonders interessante oder liebenswerte Charaktere verfügt. Es ist ein Roman für meine Generation, die Anfang bis Mitte der 2000er Jahre mit dem Internet erwachsen wurde. In der man eine Beepworld-Website und eine nic.de.vu-Adresse, einen Hotmail-Account für die ersten Mails hatte und wenn man dabeigeblieben ist, einen Blog bei myblog.de geführt hat und in Foren aktiv war. Oder im Chat des regionalen Radiosenders. Vieles dreht sich um die Themen Privatsphäre im Netz, den Glauben an die Anonymität im Internet, Big Data und vor allem den Wandel, den das Internet zwischen 2006 und 2015 durchlaufen hat. Wer sich für diese Themen interessiert, wird mit dem Roman einige unterhaltsame Stunden vor sich haben. Der Rest wird sich langweilen. Ich bin studierte Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin, daher fand ich die Ansätze und Insider wohl naturgemäß interessant.
Dass das verständlicherweise nicht allen so geht, zeigen die eher mäßigen Bewertungen, die man online bislang findet – kann ich durchaus nachvollziehen. Zu einem überschwänglichen Lob kann auch ich mich nicht hinreißen lassen. Lecoq kombiniert die klassischen Themen Freundschaft und Liebe mit der voranschreitenden Digitalisierung und deren Vor- und Nachteilen. Leider schafft sie es weder mich besonders zu berühren, noch eine wirkliche Beziehung zu den Protagonisten aufzubauen. Ich führe hier ja bewusst keine Sterneskala für Bücher ein, aber würde mich jemand dazu nötigen, wären es drei von fünf möglichen Sternen. Es ist ein solider Roman, den man lesen kann, wenn man sich besonders für die Netzwelt interessiert – wer auf der Suche nach einer berührenden Geschichte über Freundschaft ist, ist mit anderen Werken besser bedient.
Eine kurze Passage aus dem Buch
„So unterhielten sie sich noch eine ganze Weile: Marianne, an ihrem Schreibtisch sitzend, in ihrer kleinen Wohnung im tiefsten 19. Arrondissement, Christophe, gemütlich ausgestreckt auf dem Schlafsofa in seiner Zweizimmerwohnung in Belleville, seinen schlummernden Sohn an sich geschmiegt, und Paul, in seinem Zimmer in dem Haus in La Rochelle, während sich seine Eltern im Wohnzimmer ein erbittertes Scrabble-Duell lieferten.“
(Titiou Lecoq, Die Theorie vom Marmeladenbrot, Seite 48)
Infos zum Buch
Die Theorie vom Marmeladenbrot / Titiou Lecoq / Ullstein / 2016 / 352 Seiten / ISBN: 978-3550081118 / Preis: 20,00 Euro /
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